Die beiden Gründerinnen Nina Krake und Tabea Börner

„For Schur“: Wie aus alten Pullis neue Lieblinge werden

For Schur-Modelle

BRANDS & TRENDS – Aus einem kleinen Fehler wird ein Klassiker und aus einem Hobby ein wundervolles Business: Das ist in wenigen Worten die Geschichte von Nina Krake, Tabea Börner und ihrem gemeinsamen „Baby“ For Schur. Die beiden Berlinerinnen entwickelten 2016 ihre erste Kollektion ökologisch wertvoller, fair und nachhaltig produzierter Kinderkleidung aus Wolle. Aber nicht aus irgendeiner: Bei For Schur entstehen Unikate aus recycelten Wollpullovern. Ein Konzept, das Wolle sogar in manch veganen Kleiderschrank bringt …

Von Simone Starke

Bevor Nina und Tabea mit ihrem kleinen Label an den Start gingen, fertigten die beiden Mamas Kleidung für ihre eigenen Kinder. Den Modezirkus aus „immer mehr, immer wieder neu“ wollten sie nicht mitspielen, lieber „weniger und dafür wertvoll“ war und ist ihr Motto – und das schon beim Ausgangsmaterial. Also suchten sie nach ausrangierten Wollpullis in Berliner Second-Hand-Läden und schneiderten los.

Tabeas Babysohn passte dabei eine Hose nicht ganz, wie sie sollte. Tabea legte das Zuviel an Stoff in Falten und plötzlich saß die Bux perfekt – bis heute tragen die Kinderklamotten „mit der Falte“ dieses charmante Detail. Häufig wurden die späteren Gründerinnen auf die originellen Kindersachen angesprochen. For Schur war geboren!

Der ökologische Aspekt ist uns bei unserer Arbeit besonders wichtig. Konventionelle ökologische Mode wird zum Großteil aus neu produzierten, ökologischen Stoffen hergestellt. Da jedoch auch diese Herstellungsarten wertvolle Ressourcen verbrauchen, macht es für uns einfach Sinn, ausschließlich bereits vorhandene, nicht mehr benötigte Materialen zu verwenden.“

Von Damenpullis aus feiner glatter Merinowolle bis hin zu dicken, gemusterten Norwegern in XXL ist alles dabei – Hauptsache, sie bestehen aus 100% Wolle. Denn von den positiven Eigenschaften des Materials sind die Gründerinnen überzeugt:

„Wir lieben Kleidung aus Naturhaar, kein anderer Stoff ist so angenehm zu tragen. Wolle reguliert die Körpertemperatur, ist durch die selbstreinigenden Eigenschaften sehr pflegeleicht, die Farbe wäscht sich nicht aus.“

Außerdem hat Wolle hat bei guter Pflege und Lagerung eine unglaublich lange Haltbarkeit:

„Wir bekommen teilweise Pullover, in denen „Made in West-Germany“ steht. Da kann man sich ausrechnen, wie alt diese Teile schon sind. Und trotzdem sieht der Stoff noch aus wie neu und steht in Sachen Materialqualität konventioneller Neuware in nichts nach. Es lohnt sich, Arbeit in diese Stoffe zu stecken und ihnen ein neues Leben zu schenken.“

Zuschneiden, kombinieren, nähen

Und es ist verdammt viel Arbeit:

Hochwertige Wollpullover per Hand aussortieren (inzwischen übernimmt diesen ersten Schritt eine deutsche Textilsortieranlage), die einzelnen Stücke waschen, auf Löcher und Macken überprüfen. Wie bei einem Puzzlespiel Schnittteile auflegen, um die Pullover mit möglichst geringem Materialverlust weiterverarbeiten zu können. Zuschneiden, kombinieren, nähen – und das nicht Tausende Kilometer weit entfernt für Centbeträge, sondern von mehreren Festangestellten in einem kleinen Berliner Atelier bzw. in einer integrativen Nähwerkstatt.

Einteiler und Hosen, Röcke, Pullis, Westen und Trägerhemden in den Kindergrößen 50 bis 122 umfasst die Produktpalette von For Schur, dazu Accessoires wie Stulpen, Kapuzenschals und Halstücher. Sogar Stulpen und Stirnbänder für Mama sind inzwischen im Sortiment. Kinderhosen gibt’s ab 32€, Pullis für Kleine ab 45€, Stulpen für Große ab 30€. Second-Hand-Preise sind das nicht. Aber: Die Teile aus der For Schur-Kollektion sind ja nicht einfach gebrauchte Kleidungsstücke, die wieder ins Regal gelegt werden. Jede Hose, jeder Pulli durchläuft den aufwändigen und liebevollen Herstellungsprozess, der mit der Produktion der Big Player einfach nicht vergleichbar ist.

In der klassischen Textilindustrie werden mehrere Teile gleichzeitig in Lagen zugeschnitten und anschließend ,in Kette‘ genäht. Dies würde bei For Schur nicht funktionieren. Bei uns ist jeder Stoff anders, jeder Ausgangspulli hat ein anderes Maß oder unterschiedlich platzierte defekte Stellen. Auch die Dehnbarkeit und die Nähbarkeit der Stoffe sind unterschiedlich. Die Näherinnen und Näher müssen bei jedem Produktionsschritt mitdenken.“

Es wird schnell klar, welche Kosten sich hier summieren. Aber dafür lässt sich die Frage #whomademyclothes bei For Schur ohne Umschweife und leichten Herzens beantworten.

Überproduktion gibt es hier nicht

Nachhaltigkeit bedeutet auch: Was weg ist, ist weg. Verkauft werden kann nur, was genäht wurde. Und genäht werden kann nur, wenn zuvor genügend ausrangierte Pullis angekommen sind. Während die Textilriesen also auf Tonnen unverkaufter Kleidung sitzenbleiben – allein bei H&M war das zum Beispiel in der ersten Jahreshälfte 2018 Ware im Wert von über 6 Milliarden Euro! – findet bei For Schur jedes noch so kleine Teil ein liebevolles Zuhause. Wünscht sich ein Kunde eine ganz bestimmte Farbe oder Größe, wartet er eben mal ein paar Wochen, bis diese Nachfrage wieder bedient werden kann. Aber dann hängt auch ein echtes Herzensteil im Schrank!

Dank For Schur endet der Rohstoff Wolle nicht in der Müllverbrennung. Auch eine „Wiedergeburt“ als Putzlappen oder Autositzfüllung bleibt den Pullovern erspart – dann würde zwar recycelt, das aber mit deutlichem Wertverlust, weshalb man hier auch von „Downcycling“ spricht. Stattdessen hat sich For Schur dem Upcycling verschrieben: bestehendem Material neues, gutes Leben einzuhauchen.

Genau das ist ein Argument, mit dem Nina dem möglichen Einwand begegnet, Wolle sei mit einem veganem Lebensstil nicht vereinbar: Das Material wird ja nicht mehr extra für die Verarbeitung gewonnen, sondern ist bereits vorhanden und wird erneut in den Nutzungskreislauf gegeben.

Wie streng vegan jemand lebt, bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Aber wir haben tatsächlich auch viele vegane Kunden, die von unserer Kleidung begeistert sind. Weil bisher kein synthetisches Pendant existiert, das den Eigenschaften von Wolle gleichkommt. Außerdem wäre es doch dramatisch, so ein wertvolles Material einfach wegzuschmeißen.“

Vegan leben, Wolle tragen – mit For Schur ist das kein Widerspruch, findet Bloggerin Wiebke aus Wien. Sie hat ihren Standpunkt dazu unlängst in einem Insta-Post kundgetan.

Wiebke vom Blog Piepmadame

Sie schreibt: „Wenn ich mein Stirnband trage oder meiner Tochter die Wollhose von For Schur überziehe, fühlt sich das für mich gut an, weil ich weiß, dass der Stoff sonst im Müll gelandet wäre. Allein schon der Nachhaltigkeit wegen, aber auch weil kein Schaf es verdient hat, dass, wenn wir es schon ,gebrauchen‘ mussten, so mit seiner Wolle umgegangen wird.“

Wie Wiebke schreibt, werden selbst fleckige Stoffe bei For Schur verwendet. Wenn das Material eigentlich super, optisch aber nicht ganz einwandfrei ist, verstärkt es als Innenschicht die strapazierfähigen Walk-Überhosen. Kleinere Stücke werden zu Bündchen verarbeitet. Fällt ein Fehler erst im Nähprozess auf, wandert das fertige Kleidungsstück als Schnäppchen in die Kategorie „Überraschungskiste“. Und auch beim Versand gilt: Nachhaltigkeit first. Schon immer plastikfrei, gehen die Nähwerke seit kurzem in Baumwollbeutel verpackt auf die Reise. Darin lassen sich Hosen, Pullis & Co. wunderbar lagern. Immer dabei: ein Hinweis auf die richtige Wollpflege und -aufbewahrung. So haben knabbernde Motten keine Chance.

Nach und nach werden inzwischen auch Erwachsene „forschurisiert“, wobei es da Grenzen gibt: Ein einzelner Damenpulli in Größe 38 gibt eben keine neue Wohlfühlbux her. Dennoch: In limitierter Stückzahl soll es auch lange Hosen jenseits der Sandkastenrocker-Größen geben. „Tabea testet schon seit letztem Herbst Prototypen. Wolle ist ein sehr schweres Material, deshalb ist es gar nicht so einfach, große Teile daraus zu fertigen. Außerdem soll es immer noch schön und nicht nach Stückwerk aussehen. Dann brauchen wir aber auch mindestens drei Pullover als Basis für eine Hose“, schmunzelt Nina.

Nähen ist wie Shoppen, nur krasser!“

Reparieren statt wegwerfen und neu kaufen – der Gedanke, aus dem die For Schur-Gründerinnen ihr kleines, großartiges Label gegründet haben, treibt auch viele Blogger um. Nora aus Hamburg zum Beispiel will 2019 endlich noch mehr #weltverbesserungsnähen. Schlicht aus Faulheit zusehen, wie der Planet den Bach runtergeht? Nein, lieber mit kleinen Schritten einen Beitrag leisten. Statt ständig Neues zu shoppen, nimmt sie den eigenen Kleiderschrank unter die Lupe, mistet aus und näht neue Lieblingsstücke für ihr Baby daraus!

Bloggerin Norainhh
Die Welt durch Nähen und Selbermachen ein wenig verbessern: Bloggerin Nora aus Hamburg.

Wir haben hier zu Hause so übertrieben viele Klamotten aussortiert, die wir schon lange nicht mehr anziehen. Dabei sind die Materialien meist noch total gut in Schuss. Gerade für Babysachen ist das perfekt, denn für diese kleinen Größen brauche ich gar nicht viel Stoff. Und durch das häufige Waschen enthalten sie auch kaum noch Schadstoffe.“

Der oft brutalen Modeindustrie eine Absage erteilen, den eigenen CO2-Fußabdruck in Schach halten und die zarte Babyhaut schonen – Noras Upcycling hat viele positive Effekte. Und dann entsteht dabei ja auch noch zuckersüße Babykleidung mit Unikatcharakter. Ein Mini-Jeanskleid aus einem ausrangiertem Jeanshemd zum Beispiel. Funky Oberteile in Zwergengröße aus alten Bandshirts. Und auch einem alten Pulli hat die Bloggerin ein neues Leben geschenkt. Zu kurz und maximal als Pyjamaoberteil getragen, aber viel zu schade, um entsorgt zu werden: Perfekt für Babyhose plus -mütze!

Noras Plan: den „daraus kann man noch was machen”-Stapel langsam aber stetig schrumpfen lassen. „Mal sehen, wie lange meine Pullis noch groß genug für Babysachen sind. Ich habe die dunkle Vorahnung, dass das Würmchen noch weiter wachsen wird.“ Aber selbst wenn die eigenen Klamotten nicht mehr als Ausgangsmaterial herhalten, will Nora die Neuanschaffungen für ihre Familie zukünftig lieber einmal mehr mit „Brauche ich das wirklich?“ hinterfragen.

Jeden Tag ein bisschen die Welt zu retten ist also gar nicht so schwierig. Und für alle, die nicht selbst nähen, aber einen abgeliebten Woll- oder Kaschmirpulli im Schrank haben: For Schur näht aus eingeschickten Pullovern auf Wunsch Unikate „mit der Falte“. Also ran an den Kleiderschrank und „happy upcycling“!

Noch mehr Anregungen zum Selbermachen:

Linnea Larsson, „Aus groß mach klein. Babykleidung aus alten Lieblingssachen nähen.“ Südwest Verlag.