Bambus, der nachhaltige Liebling
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My Boo bringt leichte, robuste Fahrräder aus Bambus auf die Straße. Die Kieler Firma fördert damit ein soziales Projekt in Ghana, wo der Rohstoff rasch emporwächst und die Rahmen gebaut werden. So ist jedes my Boo-Bike ein doppelt nachhaltiges Unikat.
Als ich letztens durch das Große Tropenhaus im Botanischen Garten Berlin schlenderte, hat mich eine Pflanze besonders erstaunt: der Riesenbambus aus Myanmar, ein Baum von einem Bambus! Einige seiner dicken Stängel stießen schon an die 26 Meter hohe Glaskuppel. Noch unfassbarer ist die Schnelligkeit dieses Giganten – wie Datumseinträge auf einer Messlatte zeigen: Er schafft bis zu einen halben Meter pro Tag.
Bambus ist nicht nur der Sprintchampion unter den Gräsern, er hat auch das Zeug dazu, Stahl, Holz und andere Werkstoffe gleichwertig zu ersetzen.
Während etwa in China verschiedenste Alltagsgegenstände, Möbelstücke und sogar ganze Häuser, Brücken und hohe Baugerüste aus den Superhalmen konstruiert werden, ist Bambus in unseren Breiten immer noch eine exotische Ausnahmeerscheinung (abgesehen von Gartenhecken und faserigen Sprossen im Thai-Gemüseallerlei).
Deswegen drehen sich auch noch viele Leute irritiert um, wenn sie den Schleswig-Holsteiner Felix Habke mit einem Bambusbike an der Ostseeküste entlang flitzen sehen. Felix, 32, ist Vertriebs- und Pressemann im Team von my Boo. 2012 stellte das Start-up aus Kiel seinen ersten Grasesel vor, da waren die beiden Gründer, Maximilian Schay und Jonas Stolzke, gerade Anfang 20 und studierten im ersten Semester BWL. Handyfotos von Bambusgefährten, die ein Freund in Ghana geschossen hatte, inspirierten sie zu ihrer Geschäftsidee. Felix gibt zu:
„Keiner in unserem Team war ein ausgesprochener Fahrradfreak, keiner technisch versiert oder botanisch sonderlich interessiert. Aber vom Erfolg des Produktes waren wir überzeugt.“
Inzwischen stehen im my Boo-Flagshipstore im Univiertel zehn Fahrradmodelle und ganz neu auch ein Pedelec zur Schau. Speziell die schnittige Rennmaschine „my Densu“ und das puristische 2-Gang-Urbanbike „my Todzie“ finde ich persönlich optisch ansprechend, hier wirkt das Naturgestell nicht „öko“, sondern edel.
Felix’ Lieblingsmodell ist das Trekkingbike „my Tano“. „Ich mag, dass es sich immer warm anfühlt“, sagt er, während er über den goldgelben Rahmen streichelt, „und Musik machen kann man damit auch!“ Jetzt trommelt er belustigt auf dem Oberrohr herum, pok pok pok, eindeutig hohl.
Leicht und steif wie Aluminium, hart und federnd wie Stahl
Sein geringes Gewicht bei gleichzeitig hoher Zug- und Druckfestigkeit macht Bambus so interessant für Tragwerke aller Art, also auch für Fahrradrahmen. An den Streben erkennt man noch die markanten Knoten, also die Verbindungsstücke der einzelnen Halmsegmente. „Dank ihnen sind die Rohre verwindungssteif, um mal im Technikjargon zu sprechen, und die Außenwände aus Zellulosefasern, Lignin und Kieselsäure sind verblüffend hart. Hinzu kommt, dass Bambusrahmen dämpfend wirken, also Vibrationen auf der Straße abfedern, damit vereint das Material die Vorteile von Alu und Stahl“, erläutert Felix begeistert. Bei so viel Herzblut ist die Namenswahl der Gründer äußerst passend: „My boo“ bedeutet im nordamerikanischen Slang auch „mein Liebling“.
Bambus schneidet in der Umweltbilanz deutlich besser ab als die Metalle, deren Gewinnung und Verarbeitung viel Energie verschlingt, dafür ist der Transportweg nach Europa lang: Das natürliche Verbreitungsgebiet von Bambus umfasst weite Teile Mittel- und Südamerikas, Afrikas, Indiens und Südostasiens, wo industriell nutzbare Arten teils auch in Plantagen angebaut werden.
Wie vom Rahmenbau in Ghana auch Schulkinder profitieren
Der Bamboo für my Boo wächst wild am Straßenrand im ländlichen Mampong District von Zentralghana. Die Ernte sei umweltverträglich, versichert mir das my Boo-Team, zumal beim Schlagen einzelner Halme nicht die ganze Pflanze zerstört wird.
Noch wichtiger als die ökologische aber ist den Jungunternehmern die soziale Nachhaltigkeit: my Boo arbeitet mit dem Yonso Project zusammen, das Handwerkern in der strukturschwachen Region Arbeit gibt und mit den Gewinnen unter anderem Schulstipendien für Kinder aus armen Familien ermöglicht. Aktuell baut das Yonso Project eine neue Schule in Jamasi, und my Boo hilft beim Crowdfunding.
„Als wir bei unseren Recherchen auf das Projekt stießen, gab es nur eine winzige Werkstatt, in der eine Handvoll Leute bereits Fahrräder und andere Gebrauchsgüter aus Bambus baute“, erzählt Felix. „Mit Unterstützung der Schramm Group in Brunsbüttel konnten wir einen großen Neubau errichten, außerdem entwickelten Brunsbütteler Ingenieure für uns die Rahmenlehren und Werkzeuge. Fahrradspezis sind das auch nicht, aber dem Ingenieur ist halt nichts zu schwör!“
Nach anderthalb Jahren Entwicklungsphase ging alles ganz fix. „Heute sind rund 30 Arbeiter in der Rahmenmanufaktur beschäftigt, die für ghanaische Verhältnisse fürstlich bezahlt werden“, freut sich Felix, der sich 2016 vor Ort persönlich ein Bild machte. „Am meisten beeindruckt hat mich die Fröhlichkeit der Menschen, besonders der Kinder.“ In Deutschland angekommen, folgt eine wetterfeste Lackierung der my Boo-Rahmen, und drei Kieler Zweiradmechaniker erledigen die Endmontage zum fertigen Fahrrad.
Nur ein Trend oder bald Normalität?
Im my Boo-Büro ist Bambus auch jenseits der Zweiräder präsent. Auf dem Boden liegt Bambusparkett, gearbeitet wird auf Bambustischplatten, Zimmerpflanzen wachsen in Bambustöpfen, und die Jacken hängen an einer Bambusgarderobe. Es gibt fast nichts, was sich nicht aus dem Wundergras gestalten ließe, und in der Designwelt mehren sich die Beweise dafür, dass es sich auch für moderne Möbel und Accessoires eignet – ohne jeden exotisch-folkloristischen Touch.
Man betrachte dazu nur mal die Entwürfe des dänischen Labels We Do Wood oder des neuseeländischen Gestalters David Trubridge. Aber da ginge mehr: „Wie wär’s, wollt ihr eure Bambus-Produktpalette weiter ausweiten?“, frage ich Felix. „Hm, erstmal nicht“, antwortet der, „aber bei unserem Zubehör probieren wir andere nachwachsende Rohstoffe aus wie zum Beispiel Griffe aus Birkenrinde.“
Die Idee des Bambusrads ist nicht neu. Keiner weiß, wann und wo das erste zusammengebastelt wurde, aber im Web finden sich Dokumente von einer Londoner Firma Bamboo Cycle Ltd., die sich 1894 ihre „Erfindung“ patentieren ließ. Rund ein Jahrhundert später startete der Kalifornier Craig Calfee mit dem Bau von Bambusbikes, er ist für my Boo und sicher auch für deren Mitbewerber ein Vorbild.
In Deutschland bauen jetzt auch Urbam (Düsseldorf), Stark (Darmstadt), Bam Original (Berlin), Faserwerk (Bremen) und andere Fahrradmanufakturen auf das Naturrohr. Die Kieler Jungs begrüßen das. Felix: „Wir glauben, dass sich Bambus neben Stahl, Alu und Carbon etablieren wird. Irgendwann ist es ganz normal, ein Bambusbike zu fahren.“ Wenn sich dann trotzdem noch jemand nach dem radelnden Blonden umdreht, liegt es vermutlich einfach an seiner sympathischen Ausstrahlung.