Saskia Niechzial

„Was brauchst du, damit es dir wieder gut geht?“: Saskia Niechzial über #Teamplay in der Schule

Auf Instagram hat sie als liniert.kariert 45.000 Follower*innen, ist bekannt als „LehrKRAFT“, die  das Schulsystem gern von Grund auf umkrempeln würde – in Zeiten von Corona erst recht: Saskia Niechzial, 34 Jahre alt, Grundschullehrerin und Aktivistin, Mutter von zwei Kindern. Kooperation und Zusammenhalt sind Werte, die Niechzial in ihrer Arbeit transportiert.

Gern gab die passionierte Turnschuhträgerin uns ein Interview zum Saison-Motto „All about teamplay“ – trotz Corona-Stress‘. Was sie für wichtiger hält, als jetzt schnell „ein paar Noten fürs Zeugnis“ zu sammeln, warum Unterschiede bei ihr im Klassenzimmer nicht ignoriert werden – und warum der Lehrplan endlich entrümpelt werden muss.

Saskia, dir schwebt, kurz gesagt, nicht weniger vor als eine Bildungsrevolution. Welches sind die wichtigsten Punkte, die du gern verändern möchtest?

Ich wünsche mir ein Bildungssystem, das sich an die Bedürfnisse der Lernenden und Lehrenden anpasst und nicht, wie bisher, anders herum. Schaut man in die aktuelle Schulwelt liegt der Fokus noch immer stark auf der Wissensvermittlung fachlicher Inhalte. Die Lehrpläne quellen über. Das leider wenig nachhaltige rasche Abarbeiten unzähliger Themen bestimmt den Schulalltag.

Dabei müsste längst klar sein, wie wichtig Aspekte wie zum Beispiel die emotionale Entwicklung oder auch das soziale Lernen für das kompetente Hineinwachsen in unsere diverse Gesellschaft sind. Und darum nehmen sie in meinem Klassenzimmer einen großen Stellenwert ein.

Schwierigkeiten und Stolpersteine? Gehören dazu

Es scheint in deinen Berichten aus dem Klassenzimmer-Alltag so, als sei dir Zusammenarbeit sehr wichtig. Zwischen Lehrer*in und Kind, zwischen den Kindern untereinander – und auch mit den Eltern. Warum legst du viel Wert auf diesen Aspekt des Lernens… oder sagen wir: des Lebens?!

Wir Menschen sind Gemeinschaftswesen. Wir brauchen, in individuellem Ausmaß, soziales Miteinander. Wir sind gern Teil einer Gruppe.

Menschliches Lernen hat immer auch eine starke soziale Komponente, deren Chancen die Schulwelt noch immer zu wenig ausschöpft. Darum setze ich in meinem täglichen Unterricht sehr auf das Miteinander unter den Kindern und gebe Raum für verschiedenste soziale Lernformen, die von den Kindern meist frei gewählt werden.

Außerdem haben wir feste Rituale wie den Klassenrat installiert, bei dem wir uns unter anderem Zeit nehmen, auch über Schwierigkeiten im Miteinander zu sprechen und zu diskutieren. Denn die gibt es.

Für tiefgreifendes soziales Lernen ist es unerlässlich, auch Stolpersteine wahrzunehmen, offen darüber zu reden und gemeinsam Lösungswege zu suchen.

Und schließlich ist auch die Zusammenarbeit mit den Eltern ein wichtiger Pfeiler meines täglichen Tuns. Dieser Teil unseres Berufes hat einen schwierigen Stand, denn er ist schnell geprägt von Missverständnissen, Misstrauen und holpriger Kommunikation.

Wir Lehrkräfte und die Eltern sind aber zentrale Schlüsselfiguren für das Aufwachsen und die Lernwege der Kinder und damit ein Kind diese Wege möglichst sicher beschreiten kann ohne hin- und hergerissen zu werden, müssen wir Partner*innen sein. Wir müssen respektvoll und wertschätzend miteinander umgehen.

Children dance with books

Als Lehrkraft eine wichtige Bezugsperson – auf Augenhöhe

Augenhöhe ist ein weiteres Stichwort. Nicht von oben herab. Miteinander. Mit Verständnis für den anderen. Was passiert, wenn wir uns öfter auf Augenhöhe begeben? Was passiert im Klassenzimmer? In der Beziehung?

Kinder wünschen sich eine geborgene und sichere Atmosphäre. Sie wünschen sich ein harmonisches Miteinander, möchten sich angenommen fühlen und verhalten sich dafür quasi von Geburt an grundlegend kooperativ. Dennoch ist das tägliche Miteinander auch immer wieder von Schwierigkeiten, Streits und negativen Gefühlen geprägt.

Kindern und Jugendlichen fällt Perspektivwechsel oft noch schwer. Das ist keine böse Absicht, sondern normaler Verlauf des menschlichen Entwicklungsprozesses. Und da bringt es nicht viel, von oben herab zu schimpfen und zur Einsicht zu ermahnen. Das führt in der Regel nicht zur Entstehung von Verständnis.

Wir Menschen lernen besonders gut durch echte Erfahrung und Vorbilder.

Daher bin ich als Lehrkraft hier eine wichtige Bezugsperson. Begebe ich mich in möglichst vielen Situationen auf Augenhöhe, zeige Verständnis dafür, dass die Kinder zum Beispiel gerade dringend eine Pause brauchen, obwohl ich mir unterrichtlich was Großes vorgenommen habe, dann mache ich erfahrbar, wie es sich anfühlt, wenn meine Bedürfnisse und damit meine Person ernstgenommen werden. Das verankert sich.

Und je häufiger und ganzheitlicher wir das erfahren, umso tiefer verankert es sich. Wir spüren den Wert des Agierens auf Augenhöhe an uns selbst. Es dauert oft seine Zeit, aber irgendwann beobachte ich dieses verständnisvolle Verhalten bei meinen Schüler*innen. Meist ahmen sie zu Beginn meine Sätze nach, aber nach und nach finden sie eigene.

Danke – ein kleines Wort, das Wunder wirkt

Gibt es für diese Art der Begegnung einen „Türöffner“, einen Satz, der hilft, oder eine Sichtweise?

Den einen Satz gibt es sicherlich nicht. Das ist ja auch oft die Krux für uns Lehrkräfte.

Es gibt kein Patentrezept für die Begleitung von Individuen. Aber es gibt eine Art Handwerkskoffer mit hilfreichen Sätzen, auf die ich situativ zurückgreifen kann.

„Ich habe das Gefühl, ihr braucht …, stimmt das?“ Wenn ein Bedürfnis erkannt ist, kann man gemeinsam schauen, wie man ihm entgegenkommen kann. Manchmal ist es schnell zu stillen, manchmal muss man um Aufschub bitten und manchmal gilt es, Kompromisse zu finden. Das sind wichtige soziale Lernprozesse.

„Was brauchst du, damit es dir wieder gut geht und du den Streit hinter dir lassen kannst?“ Ich halte nichts von erzwungenen Entschuldigungen. Dieser Satz ist zentraler Bestandteil unserer Streit- und Diskussionskultur und hat sich sehr bewährt.

„Wie können wir das lösen? Habt ihr Vorschläge?“

„Brauchst du meine Hilfe?“

 „Möchtest du mit mir reden?“

 „Danke!“ Dieses kleine Wort wirkt manchmal Wunder. Vor allem aus meinem Mund. Kinder sind im täglichen Schulleben unglaublich vielen Regeln und Vorgaben ausgesetzt und für uns ist oft völlig selbstverständlich, dass sie alle ausnahmslos eingehalten werden.

Dabei kollidieren viele Vorgaben oft mit den eigenen Bedürfnissen und es kostet Kinder Kraft, dagegen zu gehen und einer Regel zu folgen. Ich bedanke mich dafür regelmäßig.

Eine ständige Erwartungshaltung – und Leistungsdruck

Wissenschaftlich betrachtet geht man heute davon aus, dass wir alle kooperativ geboren werden – und es uns, je nach Gesellschaftsform, dann abtrainiert wird. Siehst du das auch so, und was könnte Schule hier anders machen?

An Schulen herrscht zum einen viel systemgemachter Leistungsdruck. Das beginnt bereits in Grundschulen. Und nein, es sind nicht die bösen Eltern, die das fokussieren und ihr Kind zum Doktor*innentitel treiben wollen.

Der Großteil der Eltern, die ich kenne, wäre froh um eine Reduzierung des Drucks und um eine freiere Entfaltung ihrer Kinder.

Es ist vor allem das System mit der nicht zu bewältigenden Masse an Themen, an Zeitdruck und Zeitmangel, an Noten und dem Anspruch an Kinder, überall bestmöglichste Leistungen zu erbringen. Auch gesellschaftlich ist dieser Leistungsgedanke extrem präsent.

Diese ständige Erwartungshaltung, die ständigen Leistungskontrollen ungeachtet jeglicher Persönlichkeit und individueller Fähigkeiten führen schnell zu Frust und Unsicherheit und kurbelt damit Probleme wie Konkurrenzkampf und Einzelgängertum an.

Wenn ich schon an meine Grenzen stoße, den Erwartungen an mich halbwegs gerecht zu werden, dann habe ich kaum noch Ressourcen um nach links und rechts zu schauen.

Gleichzeitig ist Schule, wie bereits erwähnt, ein Ort voller Regeln und Vorgaben. Und wenn wir mal genau hinschauen, dann zeigen sich Kinder extrem kooperativ und halten sich im Laufe an viel mehr Regeln, als dass sie welche missachten. Und das, obwohl manche dieser Regeln sogar gegen Grundbedürfnisse wie Durst, Hunger oder Harndrang gehen.

Dass irgendwann die Kooperationsbereitschaft überstrapaziert ist, ist eigentlich mehr als verständlich. Nur schauen wir eben oft viel mehr auf die Situationen, in denen etwas nicht klappt, als auf die vielen, in denen alles läuft. Die sehen wir schnell als selbstverständlich.

Saskia Niechzial

Diversität im Klassenzimmer als große Chance für Empathie

Gesellschaftlich betrachtet leben wir in einer Zeit, die durch Polarisierung, Empörung, Missverständnisse und die Betonung von Unterschieden geprägt ist – nicht erst seit Corona. Das Gefühl des Zusammenhalts, das Gefühl, im selben Team zu spielen, leidet. Wie können wir im Umgang mit Kindern hier gegensteuern?

Eine Sache, die ich ganz besonders an meiner Arbeit mit Kindern mag, ist, dass sie mich in unruhigen gesellschaftlichen Zeiten immer wieder erden. Denn im Gegensatz zu vielen Erwachsenen, deren Denk- und Verhaltensmuster oft schon viel tiefer eingeprägt sind, sind Kinder da deutlich offener.

Und darum ist die Diversität in unseren Klassenzimmern eine so große Chance, die leider immer und immer wieder als Problem negativ besetzt wird. Natürlich ist es eine pädagogische Herausforderung eine so heterogene Gruppe in ein Team zu verwandeln, aber das muss in den kommenden Jahren fester Bestandteil unserer Expertise werden – Stichwort Lehrer*innenbildung.

Ich mache die Erfahrung, dass je bunter und diverser eine Lerngruppe, desto nachhaltiger die Entwicklung von Empathie, Verständnis und einem respektvollen, selbstverständlichen Umgang mit Unterschieden.

In meinem Klassenzimmer werden Unterschiede nicht ignoriert. Wir sind verschieden. Wir sehen alle anders aus, kommen aus unterschiedlichsten Familienkonstellationen, es gibt Menschen mit Behinderungen und Menschen ohne, wir haben mehr oder weniger Geld, wir sprechen unterschiedliche Sprachen.

Haben diese Unterschiede ihren Platz, werden vielleicht sogar als Stärke betrachtet, erfährt jedes Kind in seiner individuellen Art Zuwendung und herrscht eben eine wertschätzende Atmosphäre, besonders von Seiten der Lehrkraft als Vorbild, dann stellen all diese Aspekte für Kinder einfach keine langfristigen Barrieren dar und das Zusammenwachsen als Klassengemeinschaft funktioniert.

Aus deiner Erfahrung: Inwieweit leidet das soziale Miteinander von Kindern, leidet der Klassenzusammenhalt, durch die Corona-bedingte Distanz? Wie einschneidend ist es, Kindern in Schule und Verein so viele Möglichkeiten zu nehmen, Kooperation zu üben? Verändert sich durch das Jahr der Distanz der Umgang, wird er anders, rauer, weniger verständnisvoll?

Ich kann da jetzt nur für meine Altersgruppe an Kindern sprechen, aber das Sozialleben von Kindern wurde in den letzten 14 Monaten extrem eingeschränkt. Kein Kontakt zu weiteren Familienangehörigen, Vorsicht bei Verabredungen, keine Vereine, immer wieder keine Schule. Natürlich hinterlässt das Spuren und war/ist für viele Kinder sehr schwer.

Schulisch war es so, dass sie sich, wann immer es zurück in Präsenz ging, einfach nur wahnsinnig gefreut haben, sich wiederzusehen. Sie haben nochmal mehr gewusst, was sie aneinander haben und dieser Aspekt stand auch im Vordergrund. Da galt es Verständnis zu haben, für die vielen Gespräche im Unterricht und den Wunsch nach vielen kleinen gemeinsamen Pausen.

Schwieriger ist es, dass wir uns seit Monaten in Wechselgruppen befinden und somit nicht die ganze Klasse zusammen ist. Aber auch in den Kleingruppen ist natürlich gut soziales Lernen möglich. Was uns allen sehr fehlt, sind die Aktionen wie Klassenfahrten, Ausflüge, Feste und Aktionen, denn die sind zentraler Bestandteil für Entwicklung einer guten Klassengemeinschaft.

Gemeinsame Erlebnisse formen Gemeinschaft. Also haben wir versucht, hier so gut es ging, kleine Momente zu schaffen.

Ein digitaler gemeinsamer Wochenstart und -ausklang, Briefe an die andere Gruppe schreiben, kleine Spaziergänge, eine digitale Weihnachtsfeier. Während der Adventszeit haben wir sogar digital Kekshäuschen verziert. Jedes Kind bekam von mir alle Zutaten und hat dann zu Hause geklebt und verziert, während ich vorgelesen habe. Tatsächlich konnten wir uns so ein gutes Stück Klassengemeinschaft erhalten. Allerdings habe ich auch eine vierte Klasse, die bereits vor Corona zusammenwachsen konnte. Bei neuen Klassen ist das sicherlich herausfordernder.

Das Märchen vom „Allrounder-Kind“

Das Defizit an sozialem Kontakt… wäre dieser Aspekt vielleicht „dramatischer“ als das reine Zurückfallen im Stoff?

Vieles wäre jetzt wichtiger als das Zurückfallen im Stoff. Zumal wir Lehrkräfte ohnehin seit Jahren für die Entrümpelung der Lehrpläne plädieren und jetzt hier mal die Chance wäre.

Natürlich wäre es unerlässlich, sich erstmal um die emotionale Verfassung der Schüler*innen kümmern zu können und den Fokus auf das erneute Zusammenfinden zu legen.Aber sowas kann man ja immer so schlecht benoten – Zynismus off.

Was aber auch gesagt werden muss: Leistungsscheren haben sich in dieser Zeit tatsächlich weiter vergrößert. Denn die Lernbedürfnisse der Kinder sind sehr unterschiedlich, ebenso wie die häuslichen Situationen. Aber auch dieser Herausforderung kann man sicherlich nicht durch weiteren Leistungsdruck und „schnell wenigstens noch ein paar Noten für Zeugnis sammeln“ begegnen. Und, wenn wir schon dabei sind, vermutlich auch nicht durch Nachhilfeunterricht in den wichtigen Ferienzeiten.

Du nennst unsere Bildungsgerechtigkeit in Deutschland, gelinde gesagt, „brüchig“. Warum schaffen wir es nicht, alle Schüler*innen „als Team“ gut durch die Schulzeit zu begleiten? Die Quote der Abbrecher*innen steigt.

Das Bildungssystem hat es schlichtweg verpasst, mit den gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen mitzuwachsen. Natürlich tauchen Aspekte wie Individualisierung, Inklusion oder zum Beispiel auch interkulturelle Bildung hochtrabend formuliert in den behördlichen Präambeln auf, aber darüber hinaus ist Schule in ihren vorgegebenen Strukturen noch immer sehr auf bestimmte Lerntypen eingeengt. Stillsitzend, ruhig und leise im 45 Minuten Takt lernend.

Dabei sind Kinder und Jugendliche einem ständigen Vergleich und Kontrolle ausgesetzt und unser Schulsystem erzeugt gern das Märchen vom Allrounder-Kind. Alle sollen alles in der derselben Zeit möglichst gut beherrschen. Klappt das nicht, wird die Lupe auf genau diesen Teil gerichtet. Nicht auf all die Stärken, sondern auf das Fach, das dem Kind vielleicht einfach nicht so liegt. Weil eben niemand alles kann.

Das frustriert, nagt am Selbstbewusstsein und sorgt somit auch für große Hürden im sozialen Miteinander.

Was mir besonders wichtig ist: Es sind wir Lehrkräfte, die den leeren, behördlichen Phrasen Leben einhauchen. Wir sind es die Schlupflöcher suchen und uns aufreiben, damit die Kinder unter den engen Vorgaben nicht allzu sehr leiden. Wir sind es, die mit Widerwillen Noten verteilen müssen, aber uns hinterher Zeit nehmen die Tränen zu trocknen und die immer wieder aufbauen. Und wir sind es, die versuchen, allen Schüler*innen gerecht zu werden, ohne die dringend notwendigen Unterstützungssysteme, für die kein Geld zur Verfügung zu stehen scheint.

Akzeptanz darf nicht an Bedingungen geknüpft werden

Stichwort Konkurrenz und Kampf um „Erfolg“ und um Ressourcen wie Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, ja, „Liebe“: Wie stark ist dieses Denken schon in der Grundschulzeit präsent? Wie sehr haben die Eltern Angst, ihr Kind könnte zu kurz kommen und dadurch im Leben „zurückbleiben“? Welche Folgen hat diese Angst?

Angenommen sein zu wollen ist ein urmenschliches Bedürfnis. Und ich persönlich finde, dass jeder Mensch auch das Recht haben muss, in seinem Dasein akzeptiert und wertgeschätzt zu werden. Es wird dann problematisch, wenn wir das – egal ob Eltern oder Lehrkraft – bei Kindern an Bedingungen knüpfen. Konkret im schulischen Kontext: „Ich begegne dir nur positiv, wenn du schön leise bist.“ – „Ich akzeptiere dich nur, wenn du tust, was ich möchte.“ – „Du bekommst meine positive Aufmerksamkeit, wenn du immer deine Hausaufgaben machst.“ – „Du bist eine gute Schüler*in, wenn du gute Noten schreibst.“

Dieses Denken steckt auch schon in Kindern – ich bin nur gut, wenn ich bestimmte Bedingungen erfülle oder etwas bestimmtes leiste.

Ich brauche viel Zeit und Fingerspitzengefühl, um den Kindern erfahrbar zu machen, dass sie mir immer willkommen sind. Ich heiße nicht jedes Verhalten gut, das wird auch klar kommuniziert und das Kind lernt auch behutsam für dieses Verhalten Verantwortung zu übernehmen. Aber das ändert niemals etwas daran, dass ich sie voll und ganz in ihrer Persönlichkeit akzeptiere.

Besonders schwierig ist die Angst der Eltern, das Kind hätte ohne gute Noten, ein bestimmtes Verhalten oder bestimmte Abschlüsse keine Chancen im späteren Leben.

Denn diese Angst sitzt tief und wird ehrlicherweise durch die leistungsorientierten, gesellschaftlichen Strukturen auch oft genug bestätigt.

Ich habe viel Verständnis dafür, denn die Eltern sind selbst durch die Schulzeit gegangen und sind immer und immer wieder selbst mit dieser Erfahrung konfrontiert worden.

Zuhören, verstehen und verzeihen

Was können wir Erwachsenen tun, um dieser Angst nicht aufzusitzen?

Meist gelingt es mir, die Ängste etwas zu mildern, indem ich auch den Eltern klar vermittle, dass ihr Kind ganz viele wunderbare Eigenschaften hat und eben nicht alles können muss. Ein Mädchen, dass Chemikerin werden möchte, muss vielleicht keine 1 in Französisch haben.

Aber solange unser Bildungssystem das einzelne Kind so wenig sieht und der Leistungsfokus nicht strukturell in allen Schulstufen und auch prinzipiell in unserer Gesellschaft deutlicher in den Hintergrund tritt, solange wird die Angst bleiben.

Dein Motto lautet: „Herz zählt“, dieser Slogan steht auch auf deiner eigenen kleinen Modekollektion. Was bedeutet es für dich genau, das Herz im Alltag zählen zu lassen?

Im Schulalltag? Verständnis, Offenheit, Empathie. Und nochmal Verständnis.

Ich weiß um die Grenzen meiner privilegierten Wahrnehmung und höre erst zu, bevor ich mir eine Einschätzung erlaube.

Ich vermute nicht hinter jeder Schwierigkeit sofort böse Absicht oder Angriffe gegen mich, sondern versuche dahinter zu blicken. Und ich verzeihe. Vor allem auch mir selbst, wenn ich dann doch nicht so reagiere, wie ich es mir wünsche. Das alles gilt wohl so auch außerhalb der Schule.

Think about things differently.


Interview: Annika Langhagel
Fotos: Vidhya Schröder (4), Ivan Bertolazzi (1, via Pexels.com), Olia Danilevich (1, via Pexels.com)