Shia Su

Die kleinste Mülltonne der Welt

Wie „Weniger“ das Leben reicher macht

ONE OF US

Name: Shia Su
Lebensmittelpunkt: aktuell Vancouver, Kanada
Alter: 33
Beruf: Content Creator in vielen Formen: als Bloggerin, auf anderen Webseiten, im Radio, auf Instagram, in Buchform … Hauptsache, frei und kreativ!
Mission: So wenig wie möglich auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt leben

Shia Su
Plastik-und müllfrei einkaufen: In vielen Läden ist das inzwischen möglich.

Shia Su ist eine Ikone der „No Waste“-Bewegung mit über 44.000 Followern allein auf Instagram. Wo andere reden, macht sie ernst. Selbst darüber, ob sie ihr neues Buch auf Papier veröffentlichen sollte, dachte sie lange nach – denn am Ende ist ein Buch auch „Müll“, oder? Simone Starke hat sich mit Shia unterhalten – und wurde inspiriert.

Jeden Tag laufe ich raus zur Mülltonne. Sack rein, Klappe zu. Dazu Papier und Glas in den Container. Was kommt da zusammen? Ich fürchte, der Müllberg, den jeder Durchschnittsdeutsche im Jahr produziert: je nach statistischer Auswertung (mal inklusive Gewerbeabfälle, mal abzüglich des reinen Verpackungsmülls …) mehrere hundert Kilogramm pro Jahr.

HUNDERTE! Wahnsinn. Aber es gibt Menschen, die kriegen das anders hin. Shia Su und ihr Mann Hanno zum Beispiel haben keinen Mülleimer – nur ein Marmeladenglas. Und dessen Volumen reicht aus, um die (nicht recyclebaren) Abfälle vieler Monate zu beherbergen, etwa 1 Liter pro Jahr. Wow.

Viele kleine Schritte

Wie lebt man, wenn man so wenig Müll produziert? Shia hat die Einstellung „Zero Waste“ verinnerlicht. Dabei hat sie sich nie vorgenommen, müllfrei zu leben – es ist einfach so passiert. „Hanno und ich hatten nie vor, ,Zero Waste‘ zu werden. Klar, wir fanden es absolut faszinierend und bewunderten, dass es Menschen wie Bea Johnson und Lauren Singer gibt, deren Jahresmüll in ein einziges Einmachglas passt, hatten für uns jetzt aber nie diesen Anspruch. Wir haben es einfach als Anlass genommen, einfach mal etwas konsequenter bei der Müllvermeidung zu sein. Wir haben uns also über wirklich jedes kleinste bisschen, das klappte, irrsinnig gefreut.“

Das Gemüse im mitgebrachten Leinenbeutel nach Hause tragen, den Strohhalm und die Serviette im Café abbestellen, Papier- durch Stofftaschentücher ersetzen – viele kleine Schritte machen auf Dauer den großen Unterschied. Entscheidend ist, das eigene Konsumverhalten zu hinterfragen und alte Gewohnheiten abzulegen.

„Zero Waste bedeutet für mich, mich erstmal ganz konkret an die eigene Nase zu fassen,“

sagt Shia. Denn man kann auf die Welt schimpfen – sie besser machen muss man aber schon selbst.

Verbraucher sein statt Konsument, nur das kaufen, was man wirklich braucht. Sich dabei nicht ausklinken aus dem System von Angebot und Nachfrage, sondern es verändern – das ist Shias Ziel:

„Wer gar keine Nachfrage mehr generiert, ist für das ganze System ,Wachstum‘ leider recht uninteressant, so als hätte man kein Stimmrecht mehr! Stattdessen möchte ich eine Nachfrage bei Dingen schaffen, die ich als zukunftsträchtige Alternativen zum bestehenden System erachte. Bio-Lebensmittel zum Beispiel, oder Fairtrade-Waren.“

Das konventionelle „produzieren, konsumieren, wegschmeißen“-System gerät dadurch unter Druck und die Industrie muss sich langfristig dem neuen Konsumentenverhalten anpassen, um zu überleben.

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Are you also having a berry good day 😝? Berries can be a tough one to get #zerowaste or even plastic-free. In my experience, you have the best chances buying them straight from the farmers 👩‍🌾 because they can reuse the containers and are usually happy to do so. It saves them money after all. We buy our berries (and usually all of our produce) at the farmers market and transfer the berries to our own containers. If you forgot your container, you can always ask if you could return the tray next week 💚. Just make sure the tray gets back in tip top condition or else they won’t be able to reuse it. You also have the best chances at finding berries in paper trays (= plastic-free) at the farmers market. You might also get lucky with paper trays at health food stores and coops. However, the stores will not be able to reuse the trays for obvious reasons. Another great way is to go to u-pick farms 👨‍🌾! You also pay a lot less for your insanely fresh local berries—and it is a fun family activity! They usually give you a single-use, but pretty sturdy basket but you can transfer the berries to your own containers and just return the basket, and they will hand it to the next hobby fruit picker. You can also go foraging 🌳🌱, which is very easy for black- and raspberries if you live in the temperate zone. Just make sure you are doing it in a forest where it is allowed, so not in primeval forests please! (That shouldn’t be an issue in Europe though 😉)

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Aber ist es nicht total mühsam, mit einer Armada an Behältern Einkaufen zu gehen,
Reinigungs- und Pflegeprodukte selber zu machen? Und wenn es die liebste Schokolade gar nicht unverpackt zu kaufen gibt? „Ich finde es so interessant, dass alle mich nach ,Herausforderungen‘, ,Schwierigkeiten‘ und ,Hand aufs Herz, wo klappt es nicht?‘ fragen“, entgegnet Shia. „Es fällt mir immer so schwer, darauf zu antworten, weil das nämlich einfach so gar nicht meinen Denk-Kategorien entspricht. Ich habe mir also lange Gedanken darüber gemacht, was mich daran so störte, bis es mir endlich auffiel: Es ist eine defizitorientierte Sichtweise und die führt zu ganz viel Frust und zum Empfinden, dass es ein ,Kampf‘ ist, wo man auf so vieles ,verzichten‘ muss.“

Mehr Zeit für andere schöne Dinge

Shia und Hanno machte es aber einfach Riesenspaß, sich selbst herauszufordern und auf Entdeckungsreise zu gehen: Wo und was können wir noch unverpackt kaufen? Was können wir selbst machen und dabei Ressourcen und Geld sparen? Jeder kleine Erfolg sorgte für gute Laune und einen weiteren Motivationsschub.

Und wenn mal was daneben ging, wie der 1-Liter-Wackelpudding-Klotz, der eigentlich Spülmittel sein sollte, wusste schon irgendwer, wie man es besser machen konnte. Mit Menschen ins Gespräch kommen war nämlich ein großartiger Nebeneffekt der Umstellung auf einen müllfreieren Alltag. Ein weiterer Vorteil: Wer nicht ständig einkauft, hat plötzlich mehr Zeit für schöne und wichtige Dinge im Leben. So ist Zero Waste eben gar nicht mehr die Frage nach dem Verzicht, sondern Staunen darüber, wie dieses „Weniger“ das Leben bereichert.

Secondhand ist die erste Wahl

Wie ist das dann mit Mode? Heißt Zero Waste auch Zero Fashion? Schließlich ist die konventionelle Modebranche ein riesiger Ressourcenfresser und Umweltverschmutzer, die Arbeitsbedingungen sind immer noch viel zu oft menschenverachtend und lebensgefährlich. Daran will Shia sich nicht mehr beteiligen. Ihre Grundeinstellung zum Thema Mode und Trends ist da hilfreich:

„Mir sind Modetrends ehrlich gesagt ziemlich wumpe. Ich mag, was ich mag, unabhängig davon, ob das gerade diese Saison als Trend deklariert wurde. Ich besitze im Grunde nur noch meine liebsten Stücke und dementsprechend bin ich jeden Tag gutgelaunt gekleidet. Heute trage ich zum Beispiel mein Batman-T-Shirt, das wahrscheinlich noch nie wirklich im Trend war oder jemals sein wird. Dafür sehe ich andauernd Kinder, die mit dem gleichen Shirt rumlaufen. Wir gucken uns an, ich zeig auf unsere T-Shirts, sagen: ,Guter Klamottengeschmack!‘ und beide Parteien kichern danach wie blöde.“

Die Strategie ist auch hier erstmal: weniger besitzen. Im weitesten Sinne kleidet sich Shia damit nach dem immer beliebter werdenden Konzept „Capsule Wardrobe“. Einige wenige Basics lassen sich untereinander gut kombinieren, und das, ohne den Trends hinterherzurennen. Der Kleiderschrank ist dann recht übersichtlich, genauso wie das Schuhregal:

„Ich habe fünf Paar Schuhe: ein paar Chucks (Hey, Shia, wenn die durch sind, meldest du dich aber bei uns!, die Red.) ein Paar Ballerinas für den Sommer, ein Paar Laufschuhe, ein Paar Birkenstocks für zu Hause und neuerdings leider auch ein Paar wasserfeste Stiefel, weil es ohne hier im verregneten Vancouver nicht geht.“

Auf ihre wenigen geliebten Kleidungsstücke gibt Shia gut acht, damit sie lange halten. Was kaputtgeht, wird erstmal gerettet. Braucht der Kleiderschrank eine Ergänzung, ist Secondhand die erste Wahl. Klamottentauschparties, Kleiderkreisel, Aussortiertes von Freunden und Bekannten – es gibt so viele Wege, Neukäufe zu vermeiden oder zumindest hinauszuzögern. Falls es doch mal neu sein muss, sucht Shia inzwischen ganz gezielt nach veganer, fair gehandelter Bio-Kleidung in entsprechenden Läden vor Ort.

Beim Backen kam die „Erleuchtung“

Ihre Erfahrungen und großartige Tipps auf dem Weg, müllfreier zu leben, teilt Shia auf ihrem Blog „Wasteland Rebel“. Und mit ihrer großen Leidenschaft Backen „füttert“ sie einen weiteren Blog, der eine entscheidende Veränderung in Shias Leben angestoßen hat:

„Ins vegetarische bzw. vegane Leben bin ich übers Bloggen auf ,Cake Invasion‘ reingerutscht. Ich fand es sehr nervig, immer rechtzeitig dran denken zu müssen, Eier, Butter und Milch im Kühlschrank zu haben. Ich wollte also ohne diese Zutaten backen und das ging erst mal gewaltig daneben. Aber mit mehr Übung war der vegane Kuchen echt der Hammer! In mir regte sich die Frage: Wozu eigentlich Massentierhaltung, Tierquälerei und Umweltverschmutzung, wenn es doch offenbar ohne sogar in geiler geht?“

So wenig wie möglich auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt leben – da sind Veganismus und Zero Waste eine unschlagbare Kombination. Aber ganz ehrlich, ich kriege das nicht hin. Shia macht Mut: „Jeder steckt in einer anderen Lebenssituation und es geht nicht um das ,Zero‘, also die ,Null‘, in „Zero Waste”, sondern darum, innerhalb der eigenen Möglichkeiten den Müll zu minimieren.“ Sie findet deshalb, dass „Minimal Waste” der bessere Name wäre. Und der beste Weg ist, einfach anzufangen.

Also ich nähe mir jetzt jedenfalls ein paar Transportbeutel für Obst, Gemüse und die Sonntagsbrötchen. Habt ihr auch Ideen, wie ein erster Schritt aussehen könnte? Diskutiert mit uns auf Facebook.

Shia Su Einkauf
Kann (eigentlich) jeder: Vor allem Frisches einkaufen und selbst kochen.

Zum Weiterlesen: Shia Su – Zero Waste. Weniger Müll ist das neue Grün, erschienen im Freya Verlag
Shias Blogs: www.wastelandrebel.com und www.cakeinvasion.de


Text: Simone Starke
Fotos: wastelandrebel.com