
Warum „unperfekt“ die Welt schöner macht
Die Öffentlichkeit ist voll von perfekten Beautys. In Film & Fashion, selbst bei Lebensmitteln wird aussortiert, was nicht dem Ideal entspricht. Das Berliner Getränkelabel „Ostmost“ dagegen füllt wahre Schönheit in Flaschen und verfolgt damit die Mission, bedrohte Biotope und ihre Bewohner zu erhalten.
Text: Simone Starke
Einmal die Augen schließen und in den Supermarkt denken. Stop in der Obstabteilung. Welche Äpfel gibt es hier? Mh, wer kennt schon die Namen … vier, fünf verschiedene Sorten. Alle haben eins gemeinsam: Sie sind groß, prall, makellos. Und nichts an dieser Auswahl lässt vermuten, dass es allein in Deutschland mehr als 800 Apfelsorten gibt. Nur die wenigsten Apfelesser haben jemals Bekanntschaft gemacht mit Minister von Hammerstein, Geheimrat Dr. Oldenburg oder der Gelben Schafsnase.
Bernd Schock aber kennt und liebt sie. Und es macht ihn wütend, dass mit den vielen Apfelsorten auch deren Heimat, die Streuobstwiesen, langsam aber sicher ausstirbt. Einmalige Biotope, an deren Existenz Existenzen hängen: von vielen Tier- und Pflanzenarten, von Obstbauern, von ganzen Landstrichen, die zukünftigen Generationen verloren gehen.
Zwei der Ostmost-Mitstreiter: Paul Döcker und Gründer Bernd Schock (rechts).
Krumm, schief – und widerstandsfähig
Gemeinsam mit seinem langjährigen Freund Dennis Meier wuchs deshalb der Plan, sie zu retten. Das Ergebnis: OSTMOST. Säfte, Schorlen und Cider aus Äpfeln & Co. von regionalen Streuobstwiesen, Getränke mit ökologischem Mehrwert. Dahinter ein Netzwerk aus Bauern, Händlern und einer Kelterei, die partnerschaftlich und fair zusammenarbeiten.
Auf den brandenburgischen Streuobstwiesen sucht man vergeblich nach dem diktierten Schönheitsideal der Supermärkte. Hier wachsen die Bäume hoch, breit, krumm und schief und entwickeln so eine natürliche Resilienz gegen Umwelteinflüsse und Schädlinge.

Auch die Früchte haben ihre Macken, Wurmlöcher, sind mal groß, mal klein. Aber sie schmecken unglaublich nuancenreich. Und dieser Geschmack landet zu 100% in den Ostmost-Flaschen. Wenn gesüßt wird, wie bei der sonst ziemlich sauren Rhabarberschorle, dann ausschließlich mit Apfelsaft.
Trotzdem steckt in diesen Flaschen mehr. Ganz viel Herz. Liebe und Leidenschaft für über lange Zeit Gewachsenes und der Wille, es zu erhalten. Deshalb heißt es kämpferisch „Austrinken und Aufbäumen – Reclaim Streuobstwiesen!“
Angelehnt an die urbane Bewegung „Reclaim the Streets“, die mit Aktionen wie der „Critical Mass“ den öffentlichen Raum zurückerobern und allen Menschen zugänglich machen will, möchte Ostmost die Streuobstwiesen wieder ins Bewusstsein holen.
„Nur das, was man kennt und nutzt, wird in der Regel auch geschützt“,
so Bernd Schock. Das kann ein Getränk nicht allein. Deshalb dient Ostmost auch als Finanzierungsinstrument und Werbemittel für den ebenfalls von Bernd gegründeten Verein „Äpfel und Konsorten“. Dessen Mission: viele tolle Aktionen zum Schutz und die Neupflanzung von Streuobstwiesen.
Und Schutz ist bitter nötig:
In den letzten 50 Jahren wurden etwa 80% des ostdeutschen Streuobstwiesenbestands abgeholzt.
Die Flächen werden für den Siedlungsbau und die Intensivierung von Monokulturplantagen genutzt. Paradox: Angebaut wird z.B. ausgerechnet Raps zur Gewinnung von regenerativen Energien und ökozertifiziertes Obst.
Es geht um mehr als Omas alte Apfelsorten
Vergleichbar mit kleinen Regenwäldern, sichern diese Biotope eine riesige Biodiversität – über 5.000 Tier- und Pflanzenarten finden hier eine Heimat, von Flechten und Moos über Bienen, Reptilien und Vögel bis zum Fuchs. „Schau dir mal Bilder von Monokulturen an – hier will und kann doch kein Tier leben!“ sagt Lukas Küttner, einer der Mitstreiter von Ostmost. Dabei schwingt Verzweiflung in seiner Stimme mit. Und er bringt es auf den Punkt:
„Mono ist halt immer scheiße. In der Musik genauso wie auf dem Feld.“
Vielfalt ist das Zauberwort. Und ist sogar gesünder: Allergiker zum Beispiel profitieren vom höheren Polyphenolgehalt der alten Sorten, der offenbar allergene Stoffe im Apfel unschädlich macht. Pestizide, Fungizide, Herbizide und Dünger haben auf den Ostmost-Streuobstwiesen ohnehin nichts verloren. Und die schonende Ernte und Verarbeitung tun ihr Übriges, um die Vitamine bestmöglich zu erhalten. „An apple a day keeps the doctor away“ gilt hier also umso mehr.
Aber warum ist es so schwierig, diese Vielfalt aufrechtzuerhalten? Weil Streuobstwiesen Arbeit machen. Richtig viel Arbeit.
„Ich kann jeden Bauern verstehen, der seine Streuobstwiese aufgibt. Es rentiert sich einfach nicht, wenn man Aufwand und Ertrag nebeneinander stellt“,
erklärt Lukas. Zumindest landet man im Minus, verglichen mit dem konventionellen Anbau von Äpfeln. Deshalb sorgt Ostmost für faire Preise für die Obstbauern – oft mehr als doppelt so viel wie am Markt üblich. In Verbindung mit langfristigen Liefer- und Abnahmeverträgen wird eine gerechte und regionale Wertschöpfungskette gewährleistet. Läuft die Ernte mal schlecht, wie letztes Jahr, kann Ostmost im Gegenzug ziemlich sicher sein, die für die Produktion nötige Menge an Streuobst zu bekommen. Gute Partner halten zusammen.
Apfelsaft und Tierschutz? Gehören direkt zusammen
Damit die Botschaft bei den Konsumenten auffällt und ankommt, hat das Streetart-Duo Low-Bros in ihrem Etiketten-Design Stadt und Land zusammengebracht. Mit Maulwurf, Pirol, Rotfuchs wurden Biotop-Bewohner zu schamanischen Krafttieren erhoben: „Die LowBros haben es in ihrem urbanen Design auf den Punkt gebracht: Alles, was wir bei Ostmost machen, dreht sich schlussendlich um die Tiere auf den Streuobstwiesen.“
Apropos Style: Das Getränkebusiness erinnert an die Mode-Industrie. Sehr schnell, sehr hart, gefangen in einem extremen Preiskampf.
„Den Leuten Qualität beziehungsweise die Preise für wirklich gut gemachte Produkte zu vermitteln ist schwierig. Wenn der Liter Cola 50 Cent kostet, warum sollte man für eine 0,33l-Flasche Saft dann 2,50€ zahlen?“
Weil es Sinn macht, weil es fair ist. Das können Berliner Schüler im „Wirtschaftsapfel“-Projekt von „Äpfel und Konsorten“ lernen. Sie gehen raus auf die Wiese, ernten, pressen und verkaufen ihr Produkt. Den Preis dafür bestimmen sie selbst – da merken dann schon die Lütten, dass ein paar Cent für so viel Arbeit einfach nicht genug sind. Saft als Kapitalismuskritik.

Fair, nachhaltig – ist Ostmost ein Ethletic-Zwilling in der Flasche? Ja, auch an „vegan“ machen wir ein Häkchen: Der Saft wird ohne tierische Eiweiße gekeltert, das Etikett klebt mit Leim ohne Milchsäure.
Wo soll’s für Ostmost hingehen?
„Die Welt von Coca-Cola zu befreien, ist nicht unser Ziel. Wir werden nie riesig und überall sein, es wird also kein Westmost geben. Aber wir wollen Berlin sein. Wer in Berlin eine Bar aufmacht, der soll Ostmost anbieten, wer hier Saft oder Cider trinkt, der soll Ostmost trinken!“
Der Vertrieb läuft nicht über konventionelle Supermärkte, sondern über Musik- und Kultur-Events wie Festivals und Ausstellungseröffnungen. Gastronomen, die Ostmost ausschenken, können Apfelbaum-Patenschaften übernehmen und so ihre Solidarität zum Ausdruck bringen. Nicht immer mehr, mehr, mehr, nicht das schnelle Geld.
Erst letzten Dezember konnten sich die Jungs von Ostmost erstmals ein Gehalt zahlen. „Wir möchten von Ostmost leben können, aber verkaufen wollen wir uns nicht.“ Und das Wachstum ist mit der begrenzt verfügbaren Ressource Bio-Streuobst ohnehin limitiert.
Was für wohltuende Zukunftspläne. Deshalb alles Gute und Prost – auf den kleinen Regenwald!

Ostmost auf Facebook: https://www.facebook.com/ostmost/
Streuobstwiesen sind kleine Regenwälder! Wir wollen die Arten- und Sortenvielfalt schützen, erhalten und neue Streuobstwiesen für künftige Generationen wieder anpflanzen. Hier ein paar Fakten warum die Streuobstwiesen soso besonders sind und wir diese wieder zurückgewinnen wollen!
Gepostet von OSTMOST am Freitag, 18. September 2015