Der Neo aus Naturkautschuk
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NaturalPrene heißt eine neue, nachhaltigere Alternative zu Neopren. Sie besteht größtenteils aus Naturkautschuk – wie die Sohlen unserer Sneaker. Das kleine französische Label Picture Organic Clothing macht daraus modische Hightech-Surfanzüge mit Anziehungskraft – und setzt auf Recycling.
Die meiste Zeit verbringst du als Surfer damit, hinter der Brechungslinie auf eine passende Welle zu warten. Kommt endlich ein grüner Hügel auf dich zu, musst du ruckzuck reagieren: Wenden, paddeln, aufspringen und reiten, „Juhu!“, und nach wenigen Sekunden ist der Kick schon wieder vorbei. Manchmal erwischt du die Welle gar nicht, oder sie erwischt dich und schickt dich in die „Waschmaschine“. Dann heißt es weiterwarten … Nur mit einem isolierenden Schutzanzug kannst du dieses Geduldspiel meistern, wie eine fette Robbe kaltem Wasser und Wind, UV-Strahlung und scharfkantigem Gestein trotzen.
Milchsaft statt Erdöl
Bis vor kurzem mussten sich Surfer, Kiter und Taucher dazu in Wetsuits aus erdölbasiertem, energieintensiv produziertem Neopren* zwängen, doch nun gibt es endlich saubere Alternativen: YulexTM vom gleichnamigen Hersteller in den USA und dasselbe in Grün namens NaturalPrene TM, entwickelt von Sheico in Taiwan. Der US-Outdoor-Ausrüster Patagonia beglückte die Surferszene zuerst und brachte im August 2016 seine neoprenfreien Yulex-Anzüge heraus.
In diesem März folgte eine kleine französische Board Fashion Brand aus Annecy mit ihren „Eco Suits“ aus NaturalPrene. Gut zwei Jahre technische Tüftelarbeit und viele Praxistests investierte Picture Organic Clothing in eine optimale Rezeptur: Der Neoprenersatz besteht zu 85 Prozent aus Naturkautschuk, jener Latexmilch, die auch in die Sohlen unserer Ethletic-Sneakers „fließt“.
Picture bezieht den Rohstoff von Gummibaum-Plantagen in Malaysia – leider noch nicht von FSC-zertifizierten Plantagen (da sind Patagonia und Ethletic schon einen Schritt weiter). Bei der 15-prozentigen Zugabe handelt es sich um synthetisches, aber chlorfrei hergestelltes Gummi aus Maispflanzen, das die UV-Beständigkeit und allgemeine Robustheit des Materials erhöhen soll. Laminiert ist das NaturalPrene mit reyceltem schnelltrocknendem Polyester.
Dank zahlloser Mikro-Luftbläschen im Stoff ist er nicht nur in vier Richtungen, sondern auch um das vierfache Ausmaß dehnbar. Gerade beim An- und Ausziehen der hautengen Pelle ist diese Eigenschaft natürlich nützlich! Stolz sind die Franzosen auch auf die Schnittkonstruktion. Abgeguckt von speziellen Triathlon-Anzügen, verzichteten sie auf Nähte um die Arme und Schultern herum, sodass beim Kraulen nichts zwickt oder die Bewegung behindert. Die neunteilige Kollektion umfasst dicke und dünne Ganzkörperkondome und Shorties in verschiedenen Farben.
Die Anzüge für Surfergirls zieren Palmwedel und Strelizienblüten, ohnehin haben die Modelle allesamt den gewissen französischen Wow-Faktor, so ist das Modell „Mellow“ unten herum so knapp geschnitten wie ein Badeanzug.
Brettverrücktes Trio mit einer Vision: 100 Prozent umweltfreundlich
Jérémy Rochette, Vincent André und Julien Durant, die Gründer und Köpfe von Picture, sind alle drei leidenschaftliche Snowboarder, Surfer – und Selbstdarsteller: Für Fotos und Videos der Männersachen posieren sie selbst, und das möglichst schrill. Vincent lässt sich sogar mit Pornobalken, Puck-Sonnenbrille und albernen Grimassen ablichten.
2008 taten sich die Kindheitsfreunde zusammen, um für ihre Lieblingssportarten neue Klamotten zu entwerfen. Jérémy arbeitete damals als Architekt, Julien im Marketingbereich, und Vincent kam gerade frisch von der Schule. Der Architekt übernahm einerseits den gestalterischen Part – die geometrischen Muster und das Color-Blocking auf Jacken wie Hosen weisen auf seine beruflichen Wurzeln hin. Andererseits steuerte er, ein Öko durch und durch, die Marke in Richtung Nachhaltigkeit.
Als Herausforderung sollte Picture-Kleidung 1. hochfunktional, 2. bezahlbar sein, 3. stylish und bunt daherkommen und 4. die Natur so wenig wie möglich belasten. Zum Start brachte Picture eine Wintersportkollektion aus recycelten PET-Flaschen auf den Markt, immer noch besser als neues Erdöl zu verbrauchen, so das Credo. Als nächstes kamen Boardshorts aus Recyclingpolyester dazu, und in folgenden Jahren wurde die Palette auch um Streatwear und Accessoires erweitert. Die verwendete Bio-Baumwolle ist von GOTS oder Organic Exchange zertifiziert, und bereits 90 Prozent aller Produkte tragen das bluesign-Zeichen, was eine ressourcenschonende Herstellung ohne schädliche Chemikalien voraussetzt.
Und die anderen 10 Prozent? Zwar sind bei Picture die 8-kettigen Fluorcarbone PFOS und PFOA für wasserabweisende Stoffe tabu, da sie sich dauerhaft in der Umwelt anreichern und im Verdacht stehen, Krebs zu erzeugen. Dafür kommt eine Ausrüstung mit C6-Flourcarbon zum Einsatz – auch diese kürzerkettige Verbindung ist nicht biologisch abbaubar.
Neues Leben für alte Outdoor-Kleidung
Da das Trio mit der Tanne im Logo aber das Ziel „100 Prozent umweltfreundlich“ ausgegeben hat, forscht es bereits nach alternativen Lösungen. Originelle Ideen auf dem Weg zum Ziel sind dabei ihre Spezialität. Beispielsweise lässt Picture Stoffreste zu Jackenfutter verarbeiten, die jedes Innenleben zu einem einzigartigen Mosaik machen. Und für ein Recycling-, bzw. Upcyling-Programm sammelt die Firma an allen Verkaufspunkten abgetragene Outdoor-Kleidung, Mützen, Taschen und Co. und gibt sie an verschiedene Verwerter weiter.
Etwa an OWL, das Outdoor Waste Lab aus dem Nachbarort Meythet: OWL zerschneidet Kleidung, die aus einem nicht recycelbaren Materialmix bestehen, und macht aus den Puzzleteilen unter anderem Einkaufsbeutel, Handytaschen und Geldbörsen. Ausgedientes aus Monomaterial – wie 100 Prozent Baumwolle oder Polyester – wird industriell recycelt. So kann aus einem alten T-Shirt wieder Garn für ein neues Shirt gewonnen werden.
Doch noch einmal zurück zu den Nassanzügen: Inzwischen haben auch zwei weitere kleine Surfmarken namens Vissla (www.vissla.com) und Soöruz (www.sooruz.com) das NaturalPrene für sich entdeckt. Zeit, dass auch die Großen der Branche wie Billabong, Rip Curl und Quiksilver nachlegen und nicht mehr nur auf Funktion, Style und zugkräftige „Local Heroes“ als Testimonials setzen. Zeit für eine grüne Welle in der Surferwelt.
- Neopren – was ist so schlecht daran? In der Surfercommunity ist Meeresmüll aus Plastik ja zurzeit das größte Aufregerthema. Kein Wunder, denn der ist unübersehbar und wird mit jeder Brandungswelle an den Strand gespült. Aber die unsichtbare Umweltbelastung durch Neoprenanzüge ist auch nicht ohne – noch bevor sie kaputt gehen und ebenfalls zu Sondermüll werden: Neopren (engl. Neoprene) war ursprünglich ein Markenname des US-Konzerns DuPont, der seinen ersten Synthesekautschuk 1932 auf den Markt brachte. Zur Herstellung des Schaumstoffmaterials mit thermisch isolierenden Gasbläschen im Inneren braucht man zunächst Chloropren-Monomere aus erdölbasiertem Butadien. Das Chloropren wird dann polymerisiert (die Moleküle zu Makromolekülen verkettet), das entstandene Polychloropren zu Chips zerkleinert. Nächster Schritt: Die Chips werden erst geschmolzen, anschließend mit schaumbildenden Stoffen, Weichmacher, Alterungsschutzmittel und weiteren chemischen Zutaten im Ofen gebacken, also vulkanisiert. Der Energieaufwand dabei ist enorm.