Kleidung aus Hanf hat tolle Vorzüge, und im Vergleich zu Baumwolle ist der ökologische Fußabdruck minimal. Noch ist sie jedoch ein Nischenprodukt, dem das Image als „Kifferkraut“ anhaftet. Barbara Trenti und Andreas Geier haben 2016 „The Bad Seeds Company“ gegründet, um zu zeigen, wie viel Gutes in der angeblich bösen Pflanze steckt. Dafür zogen sie extra aus Südtirol ins weltoffenere Hamburg und Lübeck. Auch Brennessel, Leinen und recycelte Jeans stecken in ihrer Natur-Pur-Fashion.
Text: Nicoline Haas / Kopfkino
Erst werden sie an den Knien dünner, dann fadenscheinig im Schritt … und wer nicht auf den „Destroyed Look“ steht, kann seine Lieblingsjeans immer nach zwei bis drei Jahren wegwerfen! Oder mal eine Alternative zur Baumwollbüx ausprobieren:
„Auf unsere Hanf-Denim-Jeans geben wir zehn Jahre Garantie, denn so lange halten sie bei normaler Belastung mindestens!“,
verspricht Barbara Trenti von der Lübecker „The Bad Seeds Company“. Das Material sei quasi unverwüstlich, abrieb- und reißfest, auch im nassen Zustand.
Die aus Südtirol stammende Firmenchefin trägt heute eine „Bad Denim Classic“, ein mittelhoch sitzendes Unisex-Modell mit geraden Beinen. Sie lässt sich mal über die Schenkel streicheln: Die Oberfläche fühlt sich ein bisschen knotig an, ähnlich wie Leinen, aber erstaunlich weich. Die studierte Biologin begeistert auch, „dass Hanffaserkleidung im Winter wärmt und im Sommer kühlt. Sie saugt Feuchtigkeit gut auf, gibt sie aber schnell wieder ab. Und ihre natürlichen antibakteriellen Eigenschaften bewirken, dass sie auch nach häufigem Tragen nicht müffelt.“ Solche Funktionen kennt man sonst nur von chemisch ausgerüsteter Kunstfaserkleidung.
Auch die Umweltbilanz des Hanfanbaus überzeugt – dazu schaltet sich Barbaras Mann und Geschäftspartner Andreas Geier ein:
„Die Pflanze kommt mit fast jedem Boden und Klima klar und wächst wie verrückt: Vier Meter in 100 Tagen sind normal!“,
sagt er und reißt beide Arme nach oben. „Unkraut hat da keine Chance, weil kein Licht mehr zum Boden dringt. Auch mit Schädlingsbefall wird Hanf gut alleine fertig, das macht Pestizide überflüssig. Und es wird noch besser: Durch seine meterlangen Pfahlwurzeln kommt er mit wenig Wasser von oben aus. Damit ist er die viel ökologischere Alternative zur durstigen Baumwolle!“ Leidenschaftlich zählt er weitere Vorteile auf, und wie seine Frau rollt er das „R“, versüßt das deutsche Vokabular mit italienischem Singsang.
Wundergewächs und „Flora non grata“
Die beiden Nord-Italiener und Wahl-Norddeutschen glauben an eine große Zukunft des uralten Rohstoffes. Mit ihrer 2016 gegründeten Modefirma wollen sie der etwa 10.000 Jahre alten Kulturpflanze zu neuem Aufschwung verhelfen und folgen damit Marken wie HempAge aus dem bayerischen Adelsdorf, Hoodlamb aus Amsterdam oder Uprise im belgischen Leuven. Der Name Bad Seeds, böse Samen, konfrontiert ausgerechnet mit dem Image, das sie bekämpfen wollen.
„Hanf ist ein Außenseiter, geächtet als gefährliches Drogenkraut. Und das, obwohl Nutzhanfpflanzen gar nicht für Marihuana oder Haschisch taugen“,
bedauert Andreas.
Die Vorurteile der Leute sitzen tief, gerade in ländlichen Regionen wie dem Etschtal, ihrer alten Heimat, wie das Paar feststellen musste.
„Als ich in Vorbereitung unserer Firmengründung erste Gespräche führte, hatte ich noch Dreadlocks bis zum Hintern. Mit der Idee ,Wir wollen Hanfmode machen‘ wurde ich direkt in die Schublade ,kiffender Hippie‘ gesteckt – auch wenn das keiner so direkt sagte“,
erzählt der Modeunternehmer augenrollend. (Mittlerweile sind die Filzzöpfe ab, aber nur, weil sie ihn nervten.)
Davon abgesehen, werde es einem in Italien generell schwer gemacht, ein Start-up zu gründen – deshalb kehrten sie der Alpenprovinz den Rücken und entschieden sie sich für die „weltoffene, tolerante Metropole Hamburg, wo alle Farben vertreten sind“, so Andreas. Ihr Büro und Lager haben sie im 70 Kilometer entfernten Lübeck aufgeschlagen, und die Wohnung der sechsköpfigen Familie – aus Eltern, Tochter, Sohn und zwei Hunden – liegt ungefähr in der Mitte.
Cannabis ist ein Multitalent
Aus Hanffasern lassen sich diverse Textilien herstellen, auch Schuhe – vielleicht demnächst für Ethletic? –, außerdem zum Beispiel Tauwerk, Papier und Dämmstoffe. Die Samen können Brot, Müsli oder Schokolade aufpeppen, das Öl daraus für Speiseöl oder Kosmetik verwendet werden. Hanf hat also viel Potenzial, doch die komplizierten Anbauregeln in Deutschland (siehe unten)*, der EU und vielen anderen Ländern der Welt lähmen.
Der Hanf in den „Bad Seeds“-Klamotten wächst auf kleinbäuerlichen Plantagen in Russland, Bulgarien, Rumänien und Litauen, wo die Tradition des textilen Hanfanbaus nie durch Verbote unterbochen war, und wird dort auch gleich zu Stoff verarbeitet. Nach der Ernte werden die Pflanzen auf dem Feld oder in Wasserbecken „geröstet“, um den „Pflanzenleim“ aus Lignin und Pektin zu lösen, dann getrocknet und die Bastfasern mechanisch aus den Stengeln gelöst. Grob vereinfacht, folgen die Arbeitsschritte: Waschen, Kämmen, Spinnen und Weben.
Neben Hosen und Jacken aus reinem Hanf-Denim bietet „Bad Seeds“ auch luftige Shirts aus fair gehandeltem Hanf-Biobaumwoll-Jersey an. Ein nettes Detail ist der „Taglio Vivo“, der lebendige Schnitt an Ärmeln und Hals: Der Stoff wurde nur geschnitten, die Kanten nicht eingefasst. Für die Näharbeiten setzen die Unternehmer auf italienische Schneiderkunst in Prato bei Florenz und Bologna.
„Unsere Näherinnen haben anfangs geflucht über den ,garstigen‘ Hanf-Denim. Sie brauchten sehr starke Nadeln, um den Stoff zu durchstechen“,
erzählt Barbara lachend. An weiteren Naturfasern nutzt „Bad Seeds“ Brennessel, noch so ein ungeliebtes Kraut, und macht daraus seidig glänzende Long-Cardigans, und aus Leinen werden lässige Sommerhosen geschneidert.
Ein zweiter Kollektionszweig heißt „2nd Life“: Alten geschredderten Baumwolljeans schenkt „Bad Seeds“ ein neues Leben als Stickpullover und Loopschals. Die Auflagen sind noch klein, Designs und Farben zurückhaltend. „In Zukunft soll die Kollektion kräftig wachsen, frecher und bunter werden“, kündigt Barbara an.
Mit Schafen fing alles an
Mit dem Thema Wiederverwertung hatte das Paar schon in Südtirol Erfahrung in gesammelt, doch von vorn: Mitte der 2000er arbeitete Barbara als Bio- und Mathelehrerin, während Andreas sein Geld als Musiker, Songschreiber und Obstmakler für Supermärkte verdiente. An einem Herbsttag nahmen sie an einem großen Almabtrieb teil, tausende Schafe wurden über die Schweizer Berge zurück in Südtiroler Täler getrieben, und beide fragten sich: ,Wie viele Pullover könnte man wohl aus ihrer Wolle stricken?’ Ein Bauer gab die ernüchternde Antwort: „Gar keinen, die ganze Wolle wird verbrannt.“
Auch wenn klar war, dass die Schafe für Milch und Fleisch gehalten werden, war ihnen diese Verschwendung nicht bewusst, und sie beschlossen, etwas dagegen zu tun. Sie nahmen einigen Bauern einen Teil der Wolle ab, ließen sie kardieren und spinnen, mit Kräutern einfärben und eröffneten ein Strick-Café namens „Geena’s own“ in Leifers. „Geena“ ist Barbaras Spitzname. Sie verkauften von Freundinnen und Nachbarinnen gestrickte Pullis, Janker, Pochos und Socken, doch am besten liefen die Knäuel zum Selberstricken: „Schon ab morgens trafen sich bei uns vorwiegend weibliche ,Strickliesl‘ für gesellige Handarbeiten, und abends gab es buntes Kulturprogramm wie Lesungen und Konzerte“, erzählt Barbara ein bisschen wehmütig.
Sie vermischt die Themen Mode und Musik nicht so gern, es darf aber verraten werden, dass sie und Andreas auch auch gemeinsam Folk, Rock und Blues-Musik machen, ihre Band heißt „Geena B. & The Homeopatic Orchestra“. Später gesellte sich zu ihren Strickwaren auch Upcyling-Mode. Das Konzept: Kunden brachten ihre Altkleider vorbei, und Schneiderinnen aus dem Ort zauberten daraus Neues. Doch das Geschäftsmodell rechnete sich nicht. Andreas:
„Auch Idealisten müssen ihre Miete bezahlen … Wir brauchten eine neue erfolgsversprechende Idee. Auf die brachte uns schließlich ein Freund im Ultental, der Hanf für Textilien und Baumaterial anpflanzt.“
Wenn sich genügend weltoffene Kunden in Lübeck, Hamburg und drumherum finden, die bei Hanf nicht an Joints denken, sondern an ein wunderbar weiches, robustes und unschlagbar ökologisches Naturmaterial: Dann, ja dann sollte das Projekt erfolgreich werden!
* In Deutschland war der Hanfanbau zwischen 1982 und 1996 verboten – viel verlorene Zeit, in der die Pflanzenforschung wie auch die verarbeitende Industrie mehr oder weniger brach lagen. Bis heute fehlt es hierzulande etwa an einer textilen Wertschöpfungskette für Hanf. Seit 1996 dürfen Landwirte (keine Privatpersonen) nur unter strengen Auflagen und Kontrollen Nutzhanf anpflanzen. Erlaubt sind derzeit rund 50 Sorten mit einem Tetrahydrocannabinol-Gehalt bis 0,2 Prozent. Zum Vergleich: Für Arznei- oder Rauschmittel bräuchte es etwa 15 bis 20 Prozent THC. 2016 bauten nach einer Statistik des Bundeslandwirtschaftsministeriums 188 deutsche Betriebe auf 1.472 Hektar Nutzhanf an, vorwiegend als Baumaterial. Etwa genauso wenig wie im Jahr der Legalisierung. Der Vergleich hinkt zwar, aber: Mais wuchs 2016 auf 2,5 Millionen Hektar.